Die bauliche Entwicklung des Kolonnadenviertels nach 1990

von Niels Gormsen

 

Als ich im Sommer 1990 meinen Dienst als Stadtbaurat von Leipzig antrat, sah die ganze Stadt noch ziemlich trist aus: die meisten Häuser waren grau, ihre Fassaden bröckelten, viele Dächer waren löchrig, aus den Dachrinnen wuchs Gras. Das Kolonnadenviertel machte da keine Ausnahme, wenn man mal von der Kolonnadenstraße selbst absieht, die ja erst vor Kurzem fertig gestellt worden war; der mutige Versuch, Neubauten mit der Großtafelbauweise (ich lernte schnell, dass das hier "Platte" genannt wurde!) in historische Baustrukturen einzufügen. Der damalige Chefarchitekt Dr.-Ing. Dietmar Fischer hat mir das mit berechtigtem Stolz gezeigt, aber auch erzählt, wie schwierig es gewesen war, das durchzusetzen. Auch sonst hat man sich zu seiner Zeit bemüht, die Plattenbauten parallel zu den vorhandenen Straßen anzuordnen und so die historische Stadtstruktur wieder herzustellen. Das hatte man sonst - zum Beispiel um den neuen Westplatz und an der Käthe-Kollwitz-Straße - wohl bewusst vermieden.

Aber sonst sah es im Kolonnadenviertel noch recht chaotisch aus: viele Baulücken aus der Kriegszerstörung klafften noch an der Zentral-, Otto-Schill- und Zimmerstraße, die aber vor allem durch den schmutzigen Fabrikkomplex des VEB Drahtchemie geprägt war. Eine solche Fabrik inmitten eines zentrumnahen Wohngebiets! Erfreulicherweise konnte das alles ziemlich bald geändert werden. Die Baulücken an der Otto-Schill- und der Zimmerstraße wurden durch Neubauten geschlossen, die sich wie bei der Otto-Schill-Straße 7 an dem Vorgängerbau orientierten, während an der Zimmerstraße/Altem Amtshof höhere Gebäude mit modernerer Gestaltung errichtet wurden. 1994 erwarb ein Investor aus Südtirol die inzwischen geschlossene Drahtchemie, beauftragte den Architekten Adolfo Natalini aus Florenz mit dem Entwurf für einen Neubau, der 1995-97 als Dorotheenhof mit eigenwilliger Architektur gebaut wurde. Er enthält über einem Erdgeschoss mit gewerblicher Nutzung Wohnungen und Büroräume in fünf bis sechs Geschossen.

In den Neubauten wurden jeweils Tiefgaragen untergebracht. Das reichte aber für die zunehmende Zahl der Autos nicht aus. Deshalb fand sich 1998 ein Bauherr, der auf dem Geländestreifen parallel zum Pleißemühlgraben zwischen Altem Amtshof und Otto-Schill-Straße ein fünfgeschossiges Parkhaus für 155 Stellplätze errichtete, wo vorher die Baracke der Stadtreinigung gestanden hat. Der größte Neubaukomplex wurde 1995-97 von der Dresdner Bank auf dem Gelände gebaut, auf dem sich bis zu ihrer Zerstörung im Krieg Lurgensteins Garten und die Thomasmühle befunden hatten: Um das von der Bank gewünschte große Bauvolumen unterbringen zu können, wurde ein besonderer Bebauungsplan erstellt, der vom Dittrichring bis zur Zentralstraße reicht. Schließlich sei noch der Bürokomplex für Perdata erwähnt, der 1994-95 zwischen Pleißemühlgraben und Martin-Luther-Ring errichtet wurde.

Über den vielen Neubauten, durch die die löchrige Stadtstruktur wieder aufgefüllt wurde, sei nicht vergessen, dass in diesen Jahren alle Gebäude, die den Krieg und die DDR überstanden haben, umfänglich saniert und restauriert wurden, so dass sie sich heute durchweg wieder in ihrer alten Schönheit präsentieren. Wer erinnert sich noch daran, dass etwa das Ecktürmchen auf Otto-Schill-Straße 1 fehlte und dass die Dächer so undicht waren, dass die oberste Decke durchgebrochen war. In Otto-Schill-Straße 2 war eine Abteilung des Stadtplanungsamtes in den oberen Geschossen untergebracht, in Räumen, in denen Holzbalken die Decken abstützen mussten. Das Haus Otto-Schill-Straße 9 war in sich zusammengebrochen und wurde deshalb von einem Neubau ersetzt. Das Sparkassengebäude Otto-Schill-Straße 4 zeigt erst seit seiner Sanierung wieder seine volle Schönheit, im Anbau wurde inzwischen die Kunsthalle der Sparkasse untergebracht. Und überhaupt hat unser Viertel mit der Offenlegung des Pleißemühlgrabens in den Jahren 1997-98 sein Flair mit dem Wasser zurückgewonnen, verbunden mit dem neuen Weg Lurgensteins Steg, der von Fußgängern und Radfahrern gern genutzt wird.